Nicht immer ist drin, was draufsteht
Selten muss ein Frühgeborenes vollständig parenteral ernährt werden, um eine parenterale Unterstützung in den ersten Lebenstagen kommt man vielfach aber doch nicht herum. Bei dieser Form der Ernährung handelt es sich jedoch um eine „Hochrisiko-Therapie“, bei der grundsätzlich das Risiko Katheter-assoziierter Infektionen besteht und bei der immer wieder Fehler auftreten können. Um die Risiken zu vermeiden, muss man wissen, wo sie lauern.
Als sich in den 80er Jahren die moderne Neonatologie entwickelte, glaubte man, Frühgeborene vor nekrotisierender Enterokolitis (NEC) schützen zu können, indem man den Darm maximal entlastete und sie – quasi in Entsprechung zur intrauterinen Versorgung – komplett parenteral ernährte, unter Sedierung und Respiratortherapie. Die enterale Ernährung wurde frühestens ab dem 15.Lebenstag behutsam eingeführt mit dem Ziel, den Nahrungsaufbau bis etwa zur fünften Lebenswoche zu beenden, schilderte Frank Jochum, Berlin. „Im Vergleich dazu haben wir inzwischen eine komplette 180-Grad-Wendung gemacht.“ In aller Regel wird bereits ab der Geburt mit einer teilweisen enteralen Ernährung begonnen, die möglichst rasch gesteigert wird, sodass eine komplette parenterale Versorgung eine absolute Ausnahme darstellt.
Doch damit sind bei weitem nicht alle Probleme gelöst: Die systematische, prospektive Kontrolle von über 3000 Verordnungen für parenterale Ernährung zeigte im Schnitt 3,9 Fehler auf 100 Verordnungen.¹ Sie betrafen neben Patientendaten, Dosierung und Indikation vor allem die Konzentration der jeweiligen Ernährungslösung. Dabei wurde unterschieden zwischen
- harmlosen Fehlern ohne gesundheitliche Konsequenzen,
- Fehlern, bei denen mit einer Schädigung der Frühgeborenen zu rechnen ist, und
- gravierenden, potenziell tödlichen Fehlern.
Erfreulicherweise gehörten die meisten Fehler zur ersten Kategorie, doch eine erschreckend hohe Fehlerzahl hätte durchaus gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können, so Jochum. Eine Möglichkeit, solche Fehler von vornherein signifikant zu reduzieren, besteht darin, einen Apotheker täglich in die Visiten mit einzubinden und die Verordnungen mit ihm gemeinsam zu erstellen.²
Doch abgesehen von der eigentlichen Verordnung gibt es natürlich eine Menge, was schon im Vorfeld oder später bei der Applikation gründlich schiefgehen kann: angefangen bei Herstellungs- und Lagerungsfehlern über Patientenverwechselung (Cave, insbesondere bei elektronischer Patientenakte!), die Wahl eines falschen Zugangs, falsche Infusionsraten oder Inkompatibilität mit anderen, später verordneten Medikamenten.
Fehlerquoten bis 45 Prozent sind beschrieben
„Es werden Fehlerquoten bis zu 45% publiziert“, fasste Jochum zusammen. „Man kann also davon ausgehen – bei mir, bei Ihnen, bei uns allen –, dass bei dem, was man verabreicht, nicht immer das drin ist, was draufsteht.“
Vollständig lösen lässt sich dieses Problem sehr wahrscheinlich nicht. Dennoch gibt es ein paar Möglichkeiten, die Fehlerquellen zu minimieren – nicht nur im Bereich der parenteralen Ernährung. Dazu gehören:
- Limitierung auf möglichst wenige verschiedene Produkte,
- weitestgehende Standardisierung der Abläufe, um Abweichungen rasch erkennen zu können,
- Teamtraining,
- offener, konstruktiver Umgang mit Fehlern auf der Station,
- Etablierung sinnvoller Kontrollschritte.
Ein weiterer Aspekt, der bei der parenteralen Ernährung nicht aus dem Auge verloren werden darf, ist die Gefahr Katheterassoziierter Infektionen, mahnte Andreas Müller, Bonn.
Mehr Personal – weniger Sepsis
Zu den effektivsten Präventionsmaßnahmen gehört eine adäquate Personalausstattung auf der Intensivstation, wie schon vor einigen Jahren eindrucksvoll belegt werden konnte.³ Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Handhygiene und die Hautantisepsis. Vom Einsatz von Chlorhexidin zur Hautdesinfektion riet Müller dringend ab, da es nicht nur mutagen wirkt, sondern auch eine erhebliche Wirkungslücke vor allem im gramnegativen Bereich aufweist und zu einer toxischen Dermatitis und sogar zur Anaphylaxie führen kann. Polyvidon-Jod ist aufgrund der systemischen Jodresorption gerade bei kleinen Frühgeborenen problematisch. Besser geeignet sei Octenidinhydrochlorid 0,1%, das als farbloses Desinfektionsmittel mit breitem Wirkungsspektrum und guter lokaler Verträglichkeit punktet. „Trotzdem gibt es auch hier Berichte über toxische Erscheinungen an der Haut, wenn man es zu lange einwirken lässt“, warnte Müller.
Zusätzlich präventiv könnte die Zugabe von Heparin zur Infusionslösung wirken. Darauf deuten die Ergebnisse der HILLTOP-Studie (Heparine in Long Line Total Parental Nutrition), in der bei Frühgeborenen mit durchschnittlich 26 bis 28 Schwangerschaftswochen randomisiert 0,5 IU/ml Heparin der parenteralen Infusionslösung zugesetzt wurde.⁴ Frühgeborene, die diesen Zusatz erhalten hatten, entwickelten signifikant seltener eine Kathetersepsis. „Möglicherweise beruht ein Teil des Effekts darauf, dass Heparin die Adhärenz der Bakterien an das Kathetermaterial verhindert“, vermutete Müller.
Darüber hinaus besteht ein deutlicher Zusammenhang zum enteralen Nahrungsaufbau: Je schneller dieser erfolgt, desto niedriger ist die Rate an Late-onset-Septitiden und desto häufiger kommen die Frühgeborenen ganz ohne zentrale Venenkatheter aus und benötigen insgesamt weniger Antibiotika.⁵
Es gibt also viele Gründe für einen möglichst raschen enteralen Nahrungsaufbau.
Referent: PD Dr. Frank Jochum, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Ev. Waldkrankenhaus Spandau, Berlin
Vortrag: Parenterale Ernährung – Anspruch und Wirklichkeit
Referent: Prof. Dr. Andreas Müller, Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Bonn
Vortrag: Welcher Zugang, wie lange?
Referenzen
[1] Hermanspann T, Schoberer M, Robel-Tillig E, et al. Incidence and severity of prescribing errors in parenteral nutrition for pediatric in patients at a neonatal and pediatric intensive care unit. Front Pediatr 2017; 5: 149 .
[2] Maaskant JM, Tio MA, van Hest RM, et al. Health Sci Rep. Medication audit and feedback by a clinical pharmacist decrease medication errors at the PICU: An interrupted time series analysis. Health Sci Rep 2018; 1: e23.
[3] Cimiotti JP, Haas J, Saiman L, Larson EL. Impact of staffing on bloodstream infections in the neonatal intensive care unit. Arch Pediatr Adolesc Med 2006; 160: 832–6 .
[4] Birch P, Ogden S, Hewson M. A randomised, controlled trial of heparin in total parenteral nutrition to prevent sepsis associated with neonatal long lines: the Heparin in Long Line Total Parenteral Nutrition (HILLTOP) trial. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2010; 95: F252–7 .
[5] Härtel C, Haase B, Browning-Carmo K, et al. Does the enteral feeding advancement affect short-term outcomes in very low birth weight infants? J Pediatr Gastroenterol Nutr 2009; 48: 464–70.
Inhalt teilen