eine Nahaufnahme der Hand eines Babys und einer Erwachsenenhand

Physiologisches Cord Clamping

4 Minuten

Erst schnaufen, dann schneiden

Die Belüftung der Lunge ist der Dreh- und Angelpunkt der postnatalen Transition. Sie sollte auch den Zeitpunkt definieren, ab wann die Nabelschnur durchtrennt werden darf. Denn wartet man mit dem Abnabeln ab, bis die Atmung stabil in Gang gekommen ist, erspart man dem Frühgeborenen damit viele hämodynamische Turbulenzen, davon ist Arjan te Pas, Leiden, überzeugt.

 

Ein wesentlicher Vorteil des verzögerten Abnabelns besteht darin, dass das Blutvolumen der Kinder durch den längeren Rückfluss aus der Plazenta höher ist, sodass sie weniger Transfusionen benötigen und im Verlauf seltener einen Eisenmangel entwickeln.¹⁻²

 

Doch möglicherweise ist der Blick auf die Uhr gar nicht das entscheidende Kriterium für den besten Zeitpunkt zum Abnabeln und der Zugewinn an Eisen nicht der entscheidende Faktor. Stattdessen sieht te Pas den wesentlichen Effekt der intakten Nabelschnur in ihren Auswirkungen auf den kindlichen Kreislauf. Denn bevor die Lunge belüftet ist, hängt der linksventrikuläre Output ganz vom venösen Rückfluss aus der Nabelschnur ab. Erst mit der Etablierung der Atmung nimmt über Reizung der Dehnungsrezeptoren auch die Lungendurchblutung schlagartig zu. „Damit ist das linke Herz nicht mehr von dem Rückfluss aus der Plazenta abhängig, sondern kann sein Schlagvolumen aus der Lunge generieren“, verdeutlichte te Pas. „Wenn man mit dem Abnabeln wartet, bis die Atmung gut in Gang gekommen ist, bleiben die hämodynamischen Verhältnisse deshalb wesentlich stabiler, als wenn man bereits schneidet, bevor die Lunge belüftet ist.“

 

Dies bestätigen Tierversuche bei frühgeborenen Lämmern. Wird deren Nabelschnur vor Einsetzen der Atmung durchtrennt, sinkt der venöse Rückfluss zum Herzen stark ab, was sich in einem Anstieg des systolischen Drucks äußert. Gleichzeitig kommt es zu einem Abfall der arteriellen und zerebralen Sauerstoffsättigung und einem kompensatorisch erhöhten zerebralen Blutfluss mit vermehrter Sauerstoffextraktion. Diese Veränderungen regulieren sich erst nach Beginn der Atmung allmählich und mit deutlichem kompensatorischem Anstieg der Herzfrequenz. Dagegen zeigen Lämmer, deren Nabelschnur erst nach Belüftung der Lunge gekappt wurde, während der Transition eine stabile Herzfrequenz mit ebenfalls stabilen Blutdruck- und Blutflussverhältnissen sowie eine bessere systemische und zerebrale Sauerstoffversorgung.³⁻⁴ Die praktische Umsetzung des physiologischen Cord Clampings bei Frühgeborenen birgt jedoch die Schwierigkeit, das Frühgeborene mit allen notwendigen Maßnahmen zu stabilisieren und gleichzeitig die Mutter geburtshilflich zu versorgen, ohne dass sich alle Beteiligten dabei im Wege stehen. Häufig führt dies dazu, dass gerade die unreifsten Kinder, die am meisten von der Blutversorgung aus einer intakten Nabelschnur profitieren würden, am frühesten abgenabelt werden.

ABC: Aeration – Breathing – Clamping

Mit diesem Dilemma haben sich te Pas und sein Team intensiv auseinandergesetzt. Herausgekommen ist „Concord“ – ein speziell designter Behandlungstisch, der direkt über den Bauch der Mutter gefahren werden kann. Dort kann das neonatologische Team alle Stabilisierungmaßnahmen am Frühgeborenen bei intakter Nabelschnur vornehmen, ohne den Geburtshelfern bei der Versorgung der Mutter in die Quere zu kommen. „Mit diesem Tisch können wir uns Zeit lassen – wir nabeln das Kind erst ab, wenn es selber so weit ist: Wenn es atmet und die Sauerstoffsättigung stimmt“, so te Pas. „Wir nennen es den ABC-Ansatz: Aeration– Breathing – Clamping.“

 

Eine erste Pilotstudie hat der ABC-Ansatz bereits mit Bravour absolviert⁵: 33 der 37 eingeschlossenen Frühgeborenen konnten auf dem Concord-Tisch mit intakter Nabelschnur erstversorgt werden; diese wurde erst nach durchschnittlich viereinhalb Minuten durchtrennt. „Problematisch ist es nur dann, wenn die Nabelschnur sehr kurz ist“, so te Pas. Nach physiologischem Cord Clamping erreichten die Frühgeborenen eine bessere Sauerstoffsättigung und benötigten weniger zusätzlichen Sauerstoff als ähnlich unreife Kinder einer Vergleichskohorte,⁶ die konventionell versorgt worden waren. Die Herzfrequenz war stabil; Bradykardien während der Transition traten nicht auf.

 

Referent: Prof. Dr. Arjan B. te Pas, Leiden University Medical Centre, Leiden/NL Vortrag: The changing landscape in supporting preterm infants at birth

 

Referenz:

[1] McDonald SJ, Middleton P, Dowswell T, Morris PS. Effect of timing of umbilical cord clamping of term infants on maternal and neonatal outcomes. Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD004074.

[2] Rabe H, Diaz-Rossello JL, Duley L, Dowswell T. Effect of timing of umbilical cord clamping and other strategies to influence placental transfusion at preterm birth on maternal and infant outcomes. Cochrane Database Syst Rev 2012; 8: CD003248.

[3] Bhatt S, Alison BJ, Wallace EM, et al. Delaying cord clamping until ventilation onset improves cardiovascular function at birth in preterm lambs. J Physiol 2013; 591: 2113 – 26.

[4] Polglase GR, Dawson JA, Kluckow M, et al. Ventilation onset prior to umbilical cord clamping (physiological-based cord clamping) improves systemic and cerebral oxygenation in preterm lambs. PLoS One 2015; 10: e0117504.

[5] Brouwer E, Knol R, Vernooij ASN, et al. Physiological-based cord clamping in preterm infants using a new purpose-built resuscitation table: a feasibility study. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2019; 104: F396 – F402
.

[6] White LN, Thio M, Owen LS, et al. Achievement of saturation targets in preterm infants < 32 weeks‘ gestational age in the delivery room. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2017; 102: F423 – 7.

 

Pflichttext Curosurf®

 

Pflichttext Peyona®

 

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