Was gibt’s Neues?
Auf dem Gebiet des Atemnotsyndroms des Frühgeborenen (RDS) hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel getan. Deshalb wurde in diesem Jahr bereits das vierte Update der Europäischen RDS-Leitlinien1 seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 20072 publiziert. David Sweet, Belfast, hat als federführender Autor dieser Leitlinien die wichtigsten Neuerungen auf den Punkt gebracht.
I. Verzögerte Durchtrennung der Nabelschnur umstritten
Unmittelbar nach der Geburt gehört die verzögerte Durchtrennung der Nabelschnur zu denersten Maßnahmen, mit denen sich die Mortalität von Frühgeborenen signifikant senken lässt.3 Die Empfehlung lautet daher, mit dem Abnabeln mindestens 60 Sekunden zu warten, um eine plazento-fetale Transfusion zu ermöglichen (Evidenzgrad A1, vgl. Kasten). Weniger eindeutig ist die Datenlage für das Cord-Milking, das bisweilen alternativ zur verzögerten Abnabelung zum Einsatz kommt, um Zeit zu sparen. Aus Tierversuchen weiß man, dass das mechanische Ausstreichen der Nabelschnur zu erheblichen hämodynamischen Turbulenzen führen kann,4 und in einer aktuellen randomisiert-kontrollierten Vergleichsstudie kam es nach Cord-Milking viermal häufiger zu schweren intraventrikulären Hämorrhagien als nach verzögerter Abnabelung.5 Daher ist derzeit ungeklärt, ob diese Prozedur tatsächlich als ausreichend sicher betrachtet werden darf, betonte Sweet.
II. Keine Empfehlung für das Blähmanöver
Bereits seit längerem wird diskutiert, ob Sustained Inflation (Blähatmung) mit einem verlängerten und erhöhten Einatmungsdruck (20 – 25 cm H2O für 10 - 15 sec) hilfreich ist, um rascher und zuverlässiger ein respiratorisches Residualvolumen aufzubauen und so die Stabilisierung unreifer Frühgeborener zu erleichtern und ihnen die Intubation zu ersparen. Doch eine Cochrane-Analyse konnte keinen eindeutigen Effekt der Prozedur nachweisen.⁶ Umso gespannter war man auf die Ergebnisse des groß angelegten SAIL-Trials (Sustained Aeration for Infant Lung).⁷ Doch die Studie musste vorzeitig abgebrochen werden, nachdem es im Interventionsarm bei sehr unreifen Frühgeborenen zu vermehrten Todesfällen gekommen war.⁸ „Sustained Inflation scheint keinen günstigen Effekt zu haben und könnte sogar schädlich sein“, fasste Sweet zusammen. Daher wird die Anwendung nicht empfohlen (B1). Stattdessen sollte ab der Geburt eine Atmungsunterstützung mit CPAP und einem Druck von 6 – 9 cm H2O zum Einsatz kommen.
Eine weitere nicht ganz geklärte Frage betrifft den optimalen inspiratorischen Sauerstoffanteil (FiO2) während der Stabilisierung. Während Reifgeborene, die Wiederbelebungsmaßnahmen benötigen, mit höherer Wahrscheinlichkeit überleben, wenn sie initial mit Raumluft statt mit 100 % FiO2 beatmet werden,⁹ ist die Datenlage für Frühgeborene weniger klar. Hinsichtlich der Mortalität scheint es für sie keinen Unterschied zu machen, ob der initiale FiO2 bei 100 oder bei 21 % liegt. Doch während Frühgeborene nach hoher Sauerstoffbeimischung Zeichen von vermehrtem oxidativem Stress zeigen,¹⁰ traten in Beobachtungsstudien bei extrem unreifen Frühgeborenen unter niedrigerem FiO2 tendenziell häufiger prolongierte Bradykardien auf. Für die unreifsten Kinder war auch die Mortalität etwas höher.¹¹ Da sich innerhalb der ersten fünf Minuten der Bedarf für die allermeisten Kinder gleichermaßen zwischen 30 und 40 % einpendelt,¹² sollte man daher bei sehr unreifen Frühgeborenen unter 28 Gestationswochen die Stabilisierungsmaßnahmen nicht mit einem FiO2 unter 30 % beginnen (B2).
III. LISA für spontan atmende Frühgeborene
Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass die primäre Stabilisierung unter CPAP mit selektiver Surfactantgabe bei Bedarf sowohl die Mortalität als auch das BPD-Risiko sehr unreifer Frühgeborener besser senken kann als die prophylaktische Gabe von Surfactant.¹³ Daher lautete die Empfehlung der bisherigen RDS-Guidelines schon seit Jahren, Surfactant nicht mehr prophylaktisch einzusetzen, sondern es denjenigen Frühgeborenen vorzubehalten, die aufgrund eines RDS intubiert und beatmet werden müssen. Doch dieses Paradigma beruht ausschließlich auf Studien, bei denen Surfactant konventionell oder mit dem InSurE-Verfahren (Intubation, Surfactantgabe, rasche Extubation) gegeben wurde. Seit es mit dem LISA-Verfahren (Less Invasive Surfactant Application) möglich ist, Surfactant effektiv und schonend unter Spontanatmung und CPAP zu verabreichen, lassen sich die Vorzüge von Surfactant nutzen, ohne dazu die Risiken von konventioneller Intubation und Beatmung in Kauf nehmen zu müssen. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigt eine Metaanalyse, die belegt, dass die Gefahr für BPD und/oder Tod nach LISA niedriger ist als nach konventioneller Surfactantgabe oder dem InSurE-Verfahren.¹⁴ Allerdings sind Qualität und Methodik der analysierten Studien sehr unterschiedlich.¹⁵ Entsprechend wird LISA in den aktuellen Leitlinien erstmals als bevorzugte Methode der Surfactantapplikation für Frühgeborene empfohlen, die unter CPAP spontan atmen – vorausgesetzt, dass die Behandler mit der Methode ausreichend vertraut sind (B2).
IV. Surfactantgabe früh und ausreichend hoch dosiert
Darüber hinaus sollte Surfactant bei einem sich entwickelnden RDS möglichst früh im Krankheitsverlauf gegeben werden¹⁶ – die Leitlinien sehen eine Indikation, wenn der FiO2 unter CPAP mit mindestens 6 cm H2O über 30 % ansteigt (B2). Dies wird gestützt durch eine Studie von Peter Dargaville,¹⁷ die gezeigt hat, dass sich ein CPAP-Versagen durch einen hohen Sauerstoffbedarf (FiO2 > 30 %) während der ersten Lebensstunden ankündigt. Derzeit sind hierzulande ausschließlich Surfactantpräparationen tierischer Herkunft kommerziell erhältlich, die teils aus Rinder- und teils aus Schweinelungen extrahiert werden. Effektiv sind sie alle, doch Vergleichsstudien haben gezeigt, dass die Dosierung eine große Rolle spielt. So sind 200 mg/kg des aus Schweinelungen extrahierten Poractant alfa signifikant besser wirksam als 100 mg/kg Poractant alfa oder 100 mg/kg Beractant. Darüber hinaus wird nach Gabe von 200 mg/kg Poractant alfa seltener eine zweite Dosis erforderlich.¹⁸
Wie gut abgesichert sind die Empfehlungen?
Die Empfehlungen der aktuellen RDS-Guidelines beruhen auf der besten derzeit verfügbaren Evidenz – doch nicht zu allen behandelten Fragen sind randomisiert-kontrollierte Studien verfügbar. Daher müssen sie sich manchmal auf Anwendungsbeobachtungen, Registerdaten, kleinere Fallserien oder Einzelfallberichte stützen; wenn all dies nicht verfügbar ist, basiert die Evidenz eher auf Eminenz: auf der Meinung ausgewiesener Experten. Um dies transparent zu machen, wird die Qualität der Evidenz mit den Buchstaben A bis D angegeben. Darüber hinaus verdeutlichen die zugefügten Ziffern 1 und 2, ob es sich um eine nachdrückliche oder eine etwas unsicherere Empfehlung handelt.¹⁹
Referent: Dr. David Sweet, Royal Maternity Hospital, Belfast/UK Vortrag: New guidelines for the treatment of neonatal RDS.
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