Foto eines Beratungsgespräch zwischen Arzt und Ärztin

Was gibt es Neues zur Immunsuppression mit LCP-Tacrolimus?

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Von der frühen Umstellung auf LCP-Tacrolimus (LCPT) über den Einsatz von LCPT bei De-novo-Lebertransplantation und bei hochimmunisierten Patient*innen bis zur Rolle der Pharmakogenomik und mehr – lesen Sie, was auf dem ATC-Kongress 2024 Neues zur Immunsuppression mit LCPT berichtet wurde.

Frühe Umstellung von Tacrolimus mit sofortiger Wirkstoff-Freisetzung (IR-TAC) auf LCPT

Eine retrospektive Kohortenstudie mit Lebertransplantat (LTx)-Empfänger*innen verglich das klinische Outcome von Patient*innen unter IR-TAC mit dem von Patient*innen, bei denen eine frühe (≤ 30 Tage) oder späte Umstellung (> 30 Tage) von IR-TAC auf LCPT erfolgte. Die Daten weisen darauf hin, dass eine frühe Umstellung von IR-TAC auf LCPT möglich ist. Nach 1 Jahr gab es keine signifikanten Unterschiede bzgl. Abstoßung, GFR, TAC-Talspiegel und CMV-Virämie zwischen den 3 Gruppen – unabhängig vom Zeitpunkt der Umstellung.1 

Erfolgreicher Einsatz von LCPT bei De-novo-LTx und bei hochimmunisierten NTx-Patient*innen

Zwei Studien untermauerten, dass LCPT gegenüber IR-TAC auch in speziellen Patient*innengruppen nicht unterlegen ist.2,3 

Vergleich der Nierenfunktion unter LCPT und IR-TAC bei De-novo-LTx

Bei De-novo-LTx-Empfänger*innen fand eine retrospektive Studie nach 12 Monaten keinen signifikanten Unterschied bei Nierenfunktion (eGFR-Veränderung zwischen 1 und 12 Monaten, eGFR-Entwicklung über die Zeit) und unerwünschten Ereignissen (Hypertonus, Post-Transplantations Diabetes mellitus, Tremor). Auch in einer Subgruppenanalyse, in der die Teilnehmer*innen anhand der medianen C/D (Konzentration/Dosis-Ratio) Ratio von 1,49 in schnelle und langsame TAC-Metabolisierer*innen eingeteilt wurden, war die Veränderung der Nierenfunktion vergleichbar.2 

LCPT vs. IR-TAC bei hochimmunisierten Patient*innen nach Nieren-Tx (NTx)

Bei der Zulassung wurde LCPT gegen IR-TAC meist bei Patient*innen mit niedrigem immunologischem Risiko getestet. Daten zur Wirksamkeit bei Hochimmunisierung fehlten bislang. Eine explorative, offene, randomisiert-kontrollierte Studie mit hochimmunisierten NTx-Empfänger*innen – definiert als AB0-Inkompatibilität, donorspezifische Antikörper (DSA) in der Vergangenheit, DSA bei Tx und/oder positivem Crossmatch – zeigte nun vergleichbare Ergebnisse zwischen LCPT und IR-TAC 12 Monate nach Transplantation (u. a. in Bezug auf mediane eGFR, Abstoßungsraten, BKV-Virämie, De-novo-DSA und Patient*innen-/Transplantatüberleben).3

LCPT bei veränderter Anatomie des Gastrointestinal (GI)-Trakts

Bei Patient*innen mit veränderter GI-Anatomie kann das Risiko für eine schlechte Immunsuppressiva-Absorption erhöht sein. IR-TAC wird v. a. in Magen und Duodenum absorbiert, während LCPT durch seine auf der MeltDose®-Technologie basierenden Formulierung über 24 Stunden im gesamten GI-Trakt freigesetzt und überwiegend im distalen Dünndarm und im Dickdarm absorbiert wird.4-6 

 

Mehrere NTx-Fallberichte beschrieben, wie sich eine Operation am GI-Trakt auf die LCPT-Spiegel auswirken kann.5,6

  • Eine Fallserie von fünf Patient*innen mit Roux-en-Y-Magenbypass oder Sleeve-Gastrektomie zeigte, dass in dieser Situation therapeutische LCPT-Werte erreichbar sind. Vier der fünf Patient*innen wiesen therapeutische LCPT-Spiegel auf.5
  • In einem Einzelfallbericht nach Kolonresektion wurden erst nach Umstellung von LCPT auf IR-TAC therapeutische TAC-Spiegel erzielt. Bei geplanter Kolonresektion kann die vorsorgliche Umstellung von LCPT auf IR-TAC erwogen werden, so das Fazit der Autor*innen.6

Differenzierung der LCPT-Dosierung mit Hilfe der Pharmakogenomik

TAC wird abhängig vom CYP3A5-Genotyp unterschiedlich schnell metabolisiert. Bei extensiven und intermediären CYP3A5-Metabolisierern wird eine höhere IR-TAC-Dosierung empfohlen. Bei LCPT ist der Einfluss der 3A5-Variante auf die Pharmakokinetik dagegen geringer – möglicherweise, weil LCPT v. a. im distalen GI-Trakt absorbiert wird, wo die CYP3A5-Aktivität geringer ist als proximal.7,8 LCPT entgeht so einem gewissen präsystemischen Metabolismus, was die Bioverfügbarkeit erhöht.8,9 Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) empfiehlt bei De-novo-NTx eine initiale LCPT-Dosis von 0,14 mg/kg/Tag.7,10 Diese liegt unter der in Deutschland empfohlenen CLPT-Initialdosis von 0,17 mg/kg/Tag.11

 

Eine Pharmakogenomik-Studie untersuchte den LCPT-Bedarf bei NTx-Patient*innen abhängig von der 3A5-Genotyp-Variante. NTx-Empfänger*innen von 11/2020–10/2023 wurden eingeschlossen, wenn der CYP3A5-Genotyp ermittelt wurde. Die Patient*innen wurden – abhängig davon, ob 0, 1 oder 2 funktionelle Allele vorlagen – in CYP3A5-slow, -intermediäre und -fast Metabolisierer*innen eingeteilt. Die LCPT-Startdosis betrug 4 mg/Tag. Die Höhe der Ziel-Talspiegel lag bei 8 bis 10 ng/ml für 3 Monate. Die Patient*innen erhielten zusätzlich Fluconazol 100 mg/Tag (oder 100 mg alle 48 Stunden bei einer eGFR < 30 ml/min) für 30 Tage.7

 

Primärer Endpunkt war die gewichtsbasierte LCPT-Dosis unter Verwendung des idealen Körpergewichts. Die durchschnittliche gewichtsbezogene LCPT-Dosis über 3 Monate unterschied sich signifikant zwischen den Gruppen.

 

  • CYP3A5-extensive Metabolisierer benötigten eine höhere Dosis zum Erreichen der Talspiegel vs. intermediäre Metabolisierer*innen (Differenz 0,055 mg/kg). 
  • CYP3A5-intermediäre Metabolisierer*innen benötigten zum Erreichen der Talspiegel mehr LCPT als langsame Metabolisierer*innen (Differenz 0,064 mg/kg).
  • Vergleichbare Unterschiede gab es auch bei der täglichen LCPT-Gesamtdosis: Extensive Metabolisierer*innen benötigten 4,7 mg/Tag mehr als intermediäre Metabolisierer*innen und intermediäre Metabolisierer*innen benötigten 4,5 mg/Tag mehr als schlechte Metabolisierer*innen, um den Talspiegel zu erreichen.

 

Die Ergebnisse legen nahe, dass CYP3A5-Extensiv- und -Intermediär-Metabolisierer*innen entgegen den aktuellen Empfehlungen nicht gemeinsam kategorisiert werden sollten. CYP3A5-Extensiv-Metabolisierer*innen profitieren von einer höheren durchschnittlichen Startdosis als Intermediär-Metabolisierer*innen. Die empfohlene FDA-Dosierung würde die meisten langsamen und intermediären Metabolisierer*innen überdosieren und die extensiven Metabolisierer*innen unterdosieren.

Referenzen

  1. Abu-Gharbiyeh N et al. Clinical Outcomes of LCP-Tacrolimus Compared to Immediate Release Tacrolimus in Liver Transplant Recipients. ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Poster-Abstract A220.
  2. Chau MP et al. Extended-Release Tacrolimus and Kidney Function in De Novo Liver Transplant Recipients. ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Poster-Abstract C276.
  3. Ammerman N et al. Comparison of Tacrolimus Extended-Release (Envarsus XR) to Tacrolimus Immediate-Release in HLA Sensitized Kidney Transplant Recipients (NCT04225988). ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Rapid Fire Abstract 1008.
  4. Grinyó JM et al. Once-daily LCP-Tacro MeltDose tacrolimus for the prophylaxis of organ rejection in kidney and liver transplantations. Expert Rev Clin Immunol 2014; 10(12):1567-79. 
  5. Bova S et al. Use of Envarsus XR® in Kidney Transplant Recipients with Altered Gastrointestinal Anatomy. ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Poster-Abstract B311. 
  6. Girone G et al. Impact of Colon Resection Surgery on Extended Release Tacrolimus Trough Levels in a Kidney Transplant Recipient: A Case Report. ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Poster-Abstract B303.
  7. Cotiguala L et al. Differentiation of Tacrolimus Dosing Utilizing Pharmacogenomics. ATC 2024; 01.06.–05.06.2024; PHILADELPHIA, PA, USA; Poster-Abstract B302.
  8. Grinyó JM et al. Once-daily LCP-Tacro MeltDose tacrolimus for the prophylaxis of organrejection in kidney and liver transplantations. Expert Rev Clin Immunol 2014; 10(12):1567-1579.
  9. Trofe-Clark J et al. Results of ASERTAA, a Randomized Prospective Crossover PharmacogeneticStudy of Immediate-Release Versus Extended-Release Tacrolimus in African American KidneyTransplant Recipients. Am J Kidney Dis 2018; 71(3):315-326.
  10. https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2018/206406s007lbl.pdf (letzterAufruf: 16.07.2024)
  11. Fachinformation Envarsus® 0,75 mg/1 mg/4 mg Retardtabletten; Stand: Januar 2023.

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